Visionen
Sommer 2015
Wir, mein Mann Dietrich, unsere Tochter Lea-Marie und ich, fahren wieder einmal die kleine Straße durch das ehemalige Schlossgut, Schloss Ober-Neundorf und sehen das traurige Bild eines alten, durch Verfall geschändeten, eingewachsenen, im Dornröschenschlaf verharrenden Schlossgebäude. Selbst das Notdach ist schon wieder im Begriff zu verfallen.
Vor 20 Jahren bereits kümmerte sich Dietrich um Gelder für eine Notsicherung des Daches. Leider hat sich aber in diesem Zeitraum nicht wirklich etwas getan und das Schloss begann immer weiter zu zerfallen. Unser Herz war gerührt und dies führte dazu, dass das Schlösschen nach einigen Verhandlungen, in unseren Besitz übergehen durfte.
Ein wenig verrückt müssen wir schon sein, um solch ein großes Projekt in die Hände zu nehmen. Aber mit großem Vertrauen in Gott und das Leben, dass sich die Türen öffnen werden, die wir benötigen, um diese Aufgabe zu bewältigen, nahmen wir die Herausforderung an.
Unsere Vision ist es, das Schloss, sowie mit der Zeit das Ensemble nach und nach wieder mit Leben, Freude, Kultur, Begegnung und Besinnung zu erfüllen. Damit unser Projekt mit all seinen Ideen in die Realität umgesetzt werden kann, haben wir einen Verein gegründet, der uns bei der Verwirklichung unserer Vision unterstützen soll.
"In dem Augenblick, in dem man sich endgültig einer Aufgabe verschreibt, bewegt sich die Vorsehung auch. Alle möglichen Dinge, die sonst nie geschehen wären, geschehen, um uns zu helfen. Ein ganzer Strom von Ereignissen wird in Gang gesetzt durch die Entscheidung und er sorgt zu den eigenen Gunsten für zahlreiche unvorhergesehene Zufälle, Begegnungen und materielle Hilfen, die sich kein Mensch vorher je so erträumt haben könnte. Was immer Du kannst, beginne es. Kühnheit trägt Genius, Macht und Magie. Beginne jetzt!"
Goethe
... eine wunderschöne alte Stadt an einem Fluss, mit alten Gassen und Gemäuern. Einige Gebäude in gutem Zustand, andere wiederum hätten viele Taler nötig um erhalten zu werden. Das Stadtoberhaupt, seine Räte, seine Minister samt Gefolge waren sehr bedacht diese Schönheit zu erhalten und zu pflegen. Jedoch ist guter Rat teuer, wenn im Stadtsäckel immer weniger Taler liegen. Somit wird von der städtischen Obrigkeit jeder Interessent eines Baudenkmals mit offenen Toren empfangen.
Eines Tages klopfte ein Edelmann aus fernen Landen bei den Ministern an und bat um Vorsprache. Sein Interesse galt einem Schloss, etwas entlegen dieser Stadt.
Dieses Schloss war zwar auch in die Jahre gekommen, doch die alte Schönheit konnte man noch ahnen. Ganz zu schweigen von den Spuren des alten Sgraffito-Putzes, mit verschiedenen Motiven. War dieser doch an der Front noch deutlich zu erkennen, was für eine Seltenheit! Von fachlichen, hohen Herren als besterhalten in diesen Landen bezeichnet.
Ach wie war man seitens der Herren Minister froh, in Aussicht auf Verkauf dieses Anwesens. Somit konnte man sich gleichzeitig eines erheblichen Sorgenkindes entledigen. Wie viele Taler könnte man wohl noch bekommen?
In Anbetracht dessen,
dass man eigentlich froh war, dieses Gemäuer mitten auf dem Lande bald veräußern zu können, durften die Räte den Edelmann mit ihren Preisvorstellungen nicht erzürnen. Keinerlei Misstrauen und Zweifel kamen den hohen Herren auf. Was für ein Edelmann – aus fernen Landen, in edlem Zwirn, mit nobler Kutsche vorgefahren, ein Auftreten von Rang mit exzellenter Manier!
Geradezu unschicklich wäre es gewesen, hätte man von diesem Edelmann noch ein Pergament verlangt, wo er seine Taler und sein Hab und Gut aufgelistet hätte um seinen Reichtum zu belegen!
Dieses ehrwürdige Gemäuer kommt in keine armen Hände, dies waren sich die hohen Herren und Räte wohl sicher. Vom beruflichen Stande des ehrwürdigen Herren auszugehen, sogar in recht fürsorgliche, fachmännische Hände!
Somit kam es zu einem Kaufvertrage auf großem Papiere. Weder Aufgaben noch Termine wurden dem Edelmann zur Erhaltung mit auf den Weg gegeben. Die Taler wechselten über den schweren, großen Eichentisch im stattlichen Rathause der Stadt den Besitzer. Waren jetzt wirklich 2 Seiten glücklich?
Vor etlichen Jahren
feierte das einfache Volk auf dem Dorfe rund um das Schloss ein turbulentes und ausgelassenes Fest. Dies nahm der Edelmann samt Familie zum Anlass, die Schlosstüren für all das neugierige Fußvolk einmal zu öffnen. Neugierigen Blickes und in Erinnerungen schwelgend besuchte das Volk nach Jahren wieder diese großen, lichtdurchfluteten Räume. Waren doch für viele Besucher Kindheitserinnerungen aus Kindergartenzeiten mit diesem Gebäude verbunden.
Inzwischen ist so manches Jahr ins Land gegangen. Sämtliche Naturgewalten, seien es Wind, Regen, Frost und Schnee setzten dem ehrwürdigen Gemäuer zu und schmälerten seine Schönheit und seine Standhaftigkeit zusehends. Waren dem in der Ferne lebenden Edelmann die Taler ausgegangen, hatte ihn der Mut verlassen? Mit Unmut und Unverständnis und argem Kopfschütteln beobachtete das einfache Volk den Stillstand und den steten Verfall des Gebäudes.
Inzwischen lockte solch ein Leerstand auch das Gesindel und das Diebesvolk an,
nicht unbedingt vom anderen Ufer des Flusses. Auch andere wussten von den Naturalien und Edelmetallen im Hause, welche man gut zu Talern umsetzen konnte. Nicht genug des Diebstahls, mit „Pech und Ruß“ beschmierte man die Wände und ließ seine Kräfte an so manchen Materialien und Bauelementen aus. In heutiger Zeit könnte man keine Türen fürs Volk mehr öffnen – ein Trauerspiel, vielleicht im letzten Akt - käme zum Vorschein!
Inzwischen kam durch fliegende Händler und Boten auch in dem Städtchen die Kunde an, die ehrwürdige Familie des Edelmannes würde noch etliche Besitztümer, verstreut im ganzen Lande, sein Eigen nennen. Da staunte man nicht schlecht, denn eben der miserable Zustand und der Verfall des Schlosses kam auch den hohen Herren der Stadt zu Ohren. Man versuchte in der weiten Ferne mit dem Edelmann in Kontakt zu treten, mancher Bote wurde zwecks Klärung entsandt.
Welche wichtigen Pergamente getauscht und welche Wortgefechte geführt wurden, dies erfuhr das Fußvolk nicht. Nun sahen sich die Räte und hohen Herren in der Pflicht dieses Gemäuer endlich zu schützen, die gesammelten Taler und aus einem anderen Töpfchen zur Verfügung gestellte Taler wurden dafür verwendet.
Zum Schluss
riefen die hohen Herren der Stadt, fast 7 Jahre nach dem Kauf, einen Trupp ihrer Handwerkerschaft zusammen um eine Notsanierung des Daches einzuläuten und größeren Schaden und Unheil abzuwenden. Dieser Schutz scheint nun nach 8 Jahren auch Federn gelassen zu haben und leistet gegen die Naturgewalten auch keinen großen Widerstand mehr.
Jedoch gab es dann fast 8 Jahre nach dem Kauf eine Meldung aus der Ferne, auf einem großen Pergament, an alle verteilt. Der Edelmann teilte hiermit der großen Masse mit, er habe dieses Schloss seinem minderjährigen Sohne ans Herz gelegt, bzw. auf dem Papiere überschrieben.
Beide Söhne besuchen noch die hohe Schule
und wenn der Abschluss des Abiturs in der Tasche sei, denke man daran in diese Gegend zu ziehen. Damit war der Stillstand zu erklären. Denn greif` mal einem Minderjährigen in die Tasche, da findet man keine Taler, schon gar keine großen Taler um eine Schlosserhaltung zu wagen. Vom Regen in die Traufe, Pech nur für das Gebäude.
Erstaunlich nur, wie lange in fernen Regionen des Landes die Abiturientenzeit dauert. Aber in einem Märchen ticken große, alte, wertvolle Regulatoren wahrscheinlich in einem anderen Takt.
Voriges Jahr fühlte sich der Edelmann genötigt sich mit einem Pergament an das Volk zu wenden. Wo man Folgendes entnehmen konnte, er stehe mit den hohen Herren des Rates in keinem erlauchten und friedvollen Wortwechsel. Missverständnisse, Gesetzlichkeiten und Denkmalschutz würden seine längst überfällige Bautätigkeit behindern, bzw. gar nicht erst ermöglichen.
Märchenhaft - in fast 4jährigen Abständen werden neue, sagenhafte Gründe dem Volke verkündet, um allen plausibel zu machen, warum ein vor fast 14 Jahren gekauftes Kleinod verfällt, verkommt, vergammelt.
Vielleicht nimmt der Edelmann
den ehrwürdigen Vorschlag des Volkes an, zu diesem zutiefst traurigen Thema einen Hofnarr einzustellen, dieser könnte das Thema etwas auflockern und ins Lächerliche ziehen.
Ein Edelmann im feinen Zwirn, der durch seine Zunft den Baukünsten sehr eng verbunden ist, überlässt seit 2001 sein Eigentum sich selbst und den Launen der Natur. Blutet ihm nicht das Herz beim Anblick und dem Verfall dieses Schlosses? Aber da wir hier von einer Märchenwelt sprechen, die eigentlich sehr nahe liegt, können wir auch das „Kalte Herz“ mit ins Gespräch bringen und das kann nicht bluten.
Märchen beginnen sehr häufig mit den drei Worten „Es war einmal“. Wollen wir hoffen, von diesem zeitnahen Märchen beginnt bald ein neues Kapitel, mit den vielsagenden Worten „Es wird bald einmal…“
Kerstin Hildebrand April 2015
Gerade als der schöne Araberhengst Attila und ich los wollen, kommt uns mit leuchtenden Augen eine Gruppe von Kindern entgegen gerannt. Aufgeregt kommen sie vor uns zum Stehen. Kreta sagt mit ihrer liebevollen, schon fast singenden Stimme: „Weißt du, wir haben etwas rausgefunden… Die ganze Zeit wollten wir so sein wie Andere. Aber das kann gar nicht gehen, denn jeder von uns ist anderst und einzigartig.“
Attila fing an mit seinen Vorderhufen zu scharren, Freude durchflutet meinen Körper, über die Begeisterung der Kinder. Sie fuhr fort: „Zum Beispiel kann Merlin wahnsinnig toll Geschichten erzählen, was wir nicht so gut können. Aber das macht ja nichts, denn jeder kann etwas anderes gut und wir können uns gegenseitig ergänzen und dann kann es zu etwas Großem werden, wo jeder von dem Anderen profitieren kann...“ „ Das ist eine tolle Erkenntnis. Macht weiter so!“ Der Araber, der mit gespitzten Ohren lauscht, scharrt noch einmal mit den Hufen, als wolle auch er bestätigen, was die Kinder rausgefunden haben.
Mein Blick schweift hinüber zur Schmiede, in der ein schelmisch, grinsender Junge mit seinem Freund auf Eisen hämmert. Aus dem Schlosskaffee umspielen freudige Stimmen, frei von Sorgen und Lasten meine Ohren. Ich sehe wie ein paar Schüler würdevoll die Gäste bedienen und dabei Scherze nicht zu kurz kommen lassen. Gegenüber vom Kaffee ist eine Familie, die gerade Lehm in ihre Kutsche lädt, womöglich für ihr Wohnhaus. Wie schön es doch ist, dass die Zeiten, in der noch motorbetriebene Blechkisten die Gegend unsicher machten vorbei sind… Stattdessen freuen sich die Tiere, die Menschen in ihrem Tun zu unterstützen.
Das Geräusch einer Handsäge zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.
Freude breitet sich in mir aus, denn Alfons macht so wundervolle Möbel, dass ich sie mir sofort anschauen muss. Ich reite zu ihm und komme wie immer aus meiner Begeisterung nicht hinaus. Diese Möbel stecken so voller Kunst und Ausstrahlung, als hätte jedes einzelne Stück eine Seele. Ich könnte stundenlang diese besonderen Möbel betrachten, jedoch sieht das Attila anders. Er mag es gar nicht, wenn er stehen muss…
Na gut, dann laufen wir eben weiter. Wir reiten vorbei an der Schule, dem Schloss, geradewegs den Berg hinauf. Dabei grüßen uns freundlich die Menschen, die soeben für das morgige Ernte-Dank Fest alles vorbereiten und schmücken. Ein paar Kinder bemühen sich, einem Hund das Tragen eines Korbes beizubringen, damit er ihnen helfen kann.
Wir reiten durch die Allee,
vorbei an der schönen, jahrhunderte alten Parkmauer, die immer noch die Energie des Parks bewahrt. Die Vögel beginnen uns ein schönes Lied zu singen. Ein sanfter Wind umspielt unsere Ohren. Er lässt die Bäume klingen und passt sich dem Takt unserer zweier Herzen an. Wie schön es doch einfach ist… "Vielen Dank!" Als ob sie meine Gedanken gehört haben, werden die Klänge immer kraftvoller.
Am Ende der Allee merke ich, wie meine Augen zu den Obstbäumen wandern, welche von einigen Familien geerntet werden. Tanzend und lachend ernten sie alles, was die Natur uns gerade bietet. Ein paar Meter weiter bleibt Attila für einen Moment auf einer Erhöhung stehen und ermöglicht uns ein Blick hinunter auf das tolle Kieswerk. Der Sand glitzert in rötlichen und orangenen Farben, da die Sonne gerade am Untergehen ist und noch kraftvoll ihre warmen Farben ausstrahlt. Eine angenehme Ruhe erhellt unsere Ohren. Jedoch nicht nur unsere, sondern auch die von Lioba und ihren Kindern…
Lioba ist eine weiße Wölfin, sie liebt das Kieswerk und wenn der Abend und die Ruhe einbrechen, zeigt sich die kleine Familie. Sie tobt mit ihren Kindern im Sand herum, dass die Elemente nur so miteinander verschmelzen und gemeinsam zu tanzen beginnen.
Hinter uns ertönt auf einmal ein langes, lautes Donnern.
Völlig aus den Gedanken gerissen, drehen wir uns fast zeitgleich um… Hinter den Sträuchern und kleinen Bäumen lugen uns gespitzte Ohren entgegen. Mit freundlichem Pferdegrummeln und leisem Wiehern werden wir begrüßt. Wie toll diese Tiere doch nur sind! Erwartungsvoll blicken einige erst zu mir, dann zu Attila. „ Ich bringe euch euren Attila nachher zurück.“
Attila trägt mich weiter einen Weg, der hinunter in die traumhaft, erweckenden Gärten führt. Der Weg ist kurvig und an den Wegesrändern wachsen Sträucher voll Beeren, die so prächtig dastehen wie noch nie.
Jedes Jahr geben sie sich noch mehr Mühe. In einem Teich plantschen Enten, die laut anfangen zu quaken als wir vorbei kommen. Immer wieder sehe ich durch die schönen, hoch gewachsenen Hecken, die Umrisse eines der kunstvollen Häuser und die jeweiligen Menschen, die mit Würde und Ehre ihren blühenden Garten pflegen.
Ein zufriedenes Schnauben ertönt von dem wunderschönen Araber. Er liebt es wohl genauso wie ich, durch unser erwachtes, wedisches, friedvolles Dorf zu spazieren.
19.11.2016 Lea Marie